HEIMAT

DREI CHOREOGRAPHEN - DREI BEKENNTNISSE

INHALT

Was ist Heimat? Wo beginnt sie – im Mutterleib? Und wo endet sie – auf dem Friedhof?
Der Heimatbegriff ist kein einfacher. Es gibt ihn nicht in allen Sprachen. Er wurde in der Geschichte unserer Zivilisation missbraucht und instrumentalisiert. Er ist vor allem eines: Ausdruck einer Sehnsucht. Geborgenheit, Zugehörigkeit, Vertrautheit – diese Worte sind manchmal fast schon Synonyme. Um so lohnender ist das Projekt einer kreativen Erkundung dieses facettenreichen Begriffes und seiner ästhetischen
Deutungspotentiale, das die Deutsche Tanzkompanie in Angriff genommen hat.

 Julia-Maria Koch untersucht Heimat als die „Liebe zu unserem Ursprungsort, dieVerbundenheit, die Erinnerungen, die Sehnsucht zurück und das Unentrinnbare,Untrennbare, der große Fehler. Geborgenheit in einer heilen Welt suchen oder sich wie im Gefängnis fühlen – beides kann sich im Nachhinein als fatal herausstellen.“ – Heimat wäre folglich der ideale Ort für die Entwicklung eines Dramas.

Ein Grundkonflikt des Menschen besteht darin, dass er sich zum einen als Individuum empfindet und als solches geachtet werden möchte, zum anderen aber ein soziales Wesen ist, das die Gemeinschaft braucht, selbst dazu, um sich als einzigartig zu erleben. In Julia Maria Kochs Choreographie verschmelzen die Tänzer zu einem kollektiv agierenden Körper, der Individuen in die Einsamkeit aussetzt und kurz darauf wieder vollkommen verschlingt, aufsaugt. Starke Gefühle werden ausgelöst, Gefährdungen sind gegenwärtig ebenso wie Momente, in denen die Schönheit der Bewegung beim Betrachter Glücksgefühle freisetzt.

 

 Sagi Gross wurde in Israel geboren und fühlt sich seinem Land tief verbunden. In den Niederlanden hat er eine zweite künstlerische Heimat gefunden. Hier leitet er seine eigene Kompanie und hat sein künstlerisches Konzept „Physical script“ entwickelt . Zwei Orte sind ihm Heimat, und aus dieser Spannung schöpft er die Energie für seine höchst intensiven Choreographien. In seinem Beitrag greift er in ganz persönlicher Weise die Ereignisse und Reaktionen nach Beginn des Gaza-Krieges im Dezember 2008 auf. Er musste schmerzlich die Gefährdung und Infragestellung der eigenen Heimat erleben. Zurück in den Niederlanden wurde er damit konfrontiert, dass Israel, seine bedrohte Heimat, im Gegenzug als Gefahr angesehen und er dafür heftig kritisiert wurde. Seine Zerrissenheit zwischen den Heimaten, als Bedrohter wie auch als Bedrohung, hat er bereits 2008 in den Niederlanden mit seiner GrossDanceCompany und der Unterstützung von Carolyn Carlson in „One charming night“ verarbeitet. Die Choreographie war so erfolgreich, dass sie nach Frankreich, Finnland, Südkorea und den USA eingeladen wurde. Für die Deutsche Tanzkompanie wird er in der Deutschlandpremiere eine Neuinterpretation kreieren.

 

 Für Lars Scheibner ist Heimat ein Strom von Erinnerungen, mal greifbar, mal fühlbar im Unbewussten dahinfließend. Zeit und Geschwindigkeit variieren und so ist der Fluss der Erinnerungen und Imaginationen mal breit und ruhig strömend, mal schießt er voran wie ein Gebirgsbach. Als Sohn eines deutschen Vaters und einer russischen Mutter ist er zweisprachig aufgewachsen. Auch seine Heimat lässt sich nicht eingrenzen, schon gar nicht auf einen konkreten Ort. Die Arbeit, konkret die mit der Deutschen Tanzkompanie und ihren Tänzern, ist für ihn seit mehr als drei Jahren der Raum, in den er sich eingebettet fühlt. Dabei geht der Blick aber nicht in die Vergangenheit. „Weiter geht’s“, so treibt er sich selbst und seine Weggefährten an.

Drei Handschriften, drei künstlerische Ansätze, die zu einem gemeinsamen Abend verbunden werden laden sie zu einem besonderen Tanzerlebnis ein.

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